Syker Kurier, Der Sonntagstipp vom 23.03.2014
Bei den Bremer Stadtführungen steht die Kostümführung vor der Premiere:
Michael Herrmann schlüpft in die Rolle des Hansekaufmanns.
Für ihn eine ganz persönliche Zeitreise.
Geldkatze am Wams
Von Heinrich Krake
Bremen. Irgendwann werden sie an der Schlachte stehen, in Höhe der Teerhofbrücke in
etwa werden sie sich versammeln, werden auf die Weser schauen und werden die alten
Häuserfassaden betrachten. Und dann wird er sie erzählen, die Geschichte des alten
Kaufmanns Bachmann.
Köstliche Bordeaux-Weine hat er vor 200 Jahren importiert und sie in den beiden
Kelleretagen des Hauses gelagert und sie reifen lassen und sie anschließend exportiert, über
die Nordsee bis nach Bergen oder über die Ostsee bis nach Russland, bis ins ferne Nowgorod.
Der alte Bachmann, er hat Kapital daraus geschlagen, dass die Straßen damals schlecht
waren, und Weine damals durchgeschüttelt würden, wenn sie über die Straßen transportiert
werden, und der Seeweg eine viel bessere Alternative böte. Der alte Bachmann dürfte es zu
Wohlstand gebracht haben.
Vor genau 200 Jahren ist er zu Grabe getragen worden. Aber irgendwie lebt er weiter, der
hanseatische Geist zumindest. Und dies auch in Person des Stadtführers Michael Herrmann.
Der 54-jährige Schauspieler rückt den Wams zurecht, der gerade mit der Post geliefert wurde,
und den er übergestreift hat, einen Wams mit Schmuckkragen, auf den die Bremer Kaufleute
wert legen in jenen Jahrhunderten.
Sie schreiten nicht in überbordenden Roben daher wie die Fugger aus Augsburg, aber ein
Schmuckkragen der darf es schon sein, da ist man wer. Und eine Geldkatze hat er sich
ebenfalls umgelegt, ein mittelalterliches Portmonee, in den die Münzem bei jeder Bewegung
klimpern. Was nicht zur Beruhigung des Besitzers beiträgt, sondern vor allem den Passanten
Respekt und Hochachtung abtrotzt.
Noch streift Michael Herrmann die mittelalterliche Bekleidung nur zur Anprobe über. In drei
Wochen jedoch wird er sich darin auf den Weg durch die Stadt machen und zur ganz
besonderen Zeitreise einladen.
Handel und Wandel - der Hansekaufmann erzählt, so heißt der unterhaltsame Spaziergang
durch die Historie Bremens, die der Bremer Stadtführungs-Veranstalter Art-tours erstmals als
Kostümführung anbietet. Premiere ist am Sonnabend , 12.April, weitere Termine sind am
Sonntag, 13.April, am Gründonnerstag, Ostersonnabend und Ostersonntag.
Bei der Premiere fällt der Startschuss um 13 Uhr, bei allen folgenden Terminen um 14 Uhr.
Treffpunkt ist jeweils am Roland, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Natürlich sei es nur eine Rolle, in die er schlüpfe, sagt Michael Herrmann, eine von vielen, in
die der gebürtige Oldenburger schlüpft seit er vor langen Jahren ein Engagement im
Schnürschuhtheater angeboten bekam, daraufhin von der Hunte an die Weser wechselte, und
inzwischen seinen Lebensunterhalt mit einer Mischung aus Führung, Schauspiel und Lesung
bestreitet. Aber wenn er dann das Barett auf den Kopf setzt und den leinenen Umhang
überwirft, der ihn vor Wind und Regen schützt und mit einer Kapuze versehen ist, nein, sagt
Michael Herrmann, „ dann beginne ich so zu empfinden wie die Person empfunden hat, die
ich darstelle.“
Eine Zeitreise, auf die er sich begibt, eine weite Reise, 600 Jahre, zur ersten Blütezeit der
Hanse. Wie hat der Kaufmann damals gedacht ? Wie hat er seine Waren an den Mann
gebracht ? Wurden überhaupt ausreichend Waren nachgefragt ? Fragen, mit denen sich der
Schauspieler Herrmann beschäftigt, und auf die er Antworten gefunden hat. „Der
Hansekaufmann musste ja erst einmal einen Bedarf wecken. Er musste seine Produkte
anbieten, und sie interessant machen. Fernsehen oder Zeitung gab es damals nicht. Also
blieb ihm nur eine Chance, er musste seine Waren anpreisen. Er wird also sehr redselig
gewesen sein.“
Sehr kommunikativ - ein Charakterzug, der ihm liegt.
Aber welche Waren überhaupt? Was brauchten die Menschen damals, was sie nicht selbst im
eigenen Garten fanden ? „ Felle und Pelze wurden damals importiert. Harze im wachsenden
Maße ebenfalls, man brauchte sie als Klebstoff und als Farbe. Dann Teer, was wichtig war für
die Abdichtung der Schiffe und der Fässer. Und dann vor allem die Baumwolle. Sie kam aus
Asien. Alles was aus Asien kam, konnte entweder beschwerlich über die Alpen geschafft
werden, oder es kam komfortabler über Russland und die Ostsee in unseren Breiten.“
Bremen galt als Baumwollstadt. Die Baumwollbörse zeugt noch heute von der ungeahnten
Blüte.
Baumwolle importieren zu können, das galt damals als fortschrittlich, und sie zu tragen
ebenfalls. Der Wams, den der kostümierte Stadtführer angelegt und säuberlich geknöpft hat,
er ist aus Baumwolle. Er zeugt von jener Nasenspitze, die die Bremer vorn waren. Zeitweise
jedenfalls, und weil sie die Hanse im Rücken hatten. Aber wenn Michael Herrmann mit
seiner Besuchergruppe an der Schlachte steht, dann gibt es nicht nur Weser und Fassaden zu
sehen, dann wird er auch an die Hansekogge erinnern, die hier bis vor sieben Wochen lag,
und gesunken ist, und für die Bremer Kaufleute den Weg zu Wohlstand und Ansehen
bedeutete, aber genauso häufig Not und Elend brachte und den Tod.
Die Hansekogge, die damals das schaffte, was eine ganze Herde von Pferden von
Fuhrwerken kaum zu leisten im Stande gewesen wäre, sie vermochte neun Tonnen Ladung
aufzunehmen, davon wird er erzählen. Und dann schipperten sie hinaus, mit der
Weserströmung, Seeleute, Kapitän, in der überwiegenden Zahl der Fälle auch der
Hansekaufmann, schipperten hinaus und waren alle gemeinsam dem Wohl und Wehe des
Meeres ausgesetzt und den Freibeutern und kehrten oft nicht zurück.
Und Michael Herrmann wird von der Taktik berichten, die die Kaufleute anwendeten.
„Sie haben einkalkuliert, dass nicht jedes Schiff seinen Zielhafen erreichte,“ wird er sagen,
„es geht die Geschichte, dass manche Kaufleute ihre wertvolle Fracht auf sieben Schiffe
verteilt haben, und sie mit einem Gewinn rechnen können, wenn zwei ankamen.“
Michael Herrmann kramt den Federkiel heraus, den er auf den Kostümführungen immer
dabei haben wird. Kaufleute mussten damals Notizen machen können, und er zückt das
Tintenfass, das auch nicht fehlen durfte. Wahrscheinlich würde er auch die Schuhe
anprobieren, wenn sie denn da wären. Kaufleute trugen Lederschuhe mit einer feinen
Schnalle daran. Das hob sie ab von dem übrigen Volk, das in Holzpantinen daherkam.
Und jetzt steht er da in fast vollständiger Mittelalter-Montur und ist entrückt, vielleicht um
500 Jahre, vielleicht um 600 Jahre. Und ist froh, das er bald ins hier und Jetzt zurückkehren
kann?
„Wahrscheinlich schon,“ sagt Michael Herrmann, „das Mittelalter, es barg zu viele Gefahren,
man war zu vielen Zufällen ausgesetzt, die über Leben und Tod entschieden.“ Nein, im
Mittelalter wolle er nicht leben, sagt er, wahrscheinlich nicht. Ganz sicher ist das nicht.
„Die entscheidende Frage ist immer, auf welcher Seite vom Tisch werde ich geboren.“
Lederschuhschnalle oder Holzpantine?
Die Antwort beeinflusst das ganze Leben. Damals wie Heute.
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